Wer im Maschinenbau tätig ist, stellt sich oft die Frage, ob diese oder jene Stelle wirklich erreichbar ist und als Gefahrstelle bewertet werden sollte. Die Maschinenrichtlinie (2006/42/EG) fordert eine Risikobeurteilung, was aber eher als theoretischer Ansatz zu verstehen ist. Natürlich kann man immer mal mit seinem eigenem Finger an einem Produkt „herumtatzeln“, aber so etwas hinterlässt doch zu oft ärgerliche und oft dauerhafte Schäden. Diese Internetseiten sollen Ihnen einige Lösungsansätze zeigen.
Nicht entgratetete Bleche und scharfe Kanten: Ein einfaches und immer zur Hand befindliches Testobjekt ist ein normales Din A4-Blatt (80g-Kopierpapier). Wenn Sie dieses mit beiden Händen leicht gespannt über eine Kante führen und das Blatt Papier reißt ein, haben Sie entweder grobmotorische Probleme oder die Kante ist zu scharfkantig. Dieser Test wird mit etwas besser beschriebenen Halterungen und mit ausgewählten Papiersorten bei Spielzeugen durchgeführt – wer es genauer wissen möchte, möge in der EN 71-1 für Kinderspielzeug nachsehen.
Und um Diskussionen gleich abzuwürgen: Bleche, die nicht erreichbar sind, dürfen scharfkantig sein. Ein Maschinenbauer, der „deutsche Qualität“ liefern möchte, wird so etwas vermeiden – wer mal in PKW für den amerikanischen Markt Elektroleitungen verlegt hat, ahnt, was ich damit meine!
Scharfe Kanten sind immer auch in Bezug auf die anwensenden Menschen zu verstehen - eine Tischkante darf anders geformt sein als ein Bügel an einer Fahrkartenkontrollstation.
An Maschinen, die typischerweise ein Werkstück mechanisch bearbeiten, lassen sich Gefahrstellen finden, die bei guten Maschinen so gut abgedeckt werden, daß ein Zugriff in den Gefahrenbereich nicht mehr möglich ist.
Leider ist mir bei einer Steckermontage mit einem Prüffinger so etwas passiert:
Ein anderes Beispiel ist ein Bohrzentrum – das ist, laienhaft ausgedrückt, eine Handbohrmaschine im Ständer, die so eingerichtet worden ist, so das man an keiner Stelle die Chance hat, seine Finger zwischen Werkstück und Werkstück zu bringen und anzubohren. Lachen Sie ruhig über die Beschreibung: Lachen löst Denkmuster und erlaubt es, auch mal querbeet zu denken.
Denn ganz bestimmt kommt gleich einer mit der Frage, wie groß denn der Spalt sein kann. Das ist in Normen geregelt, z.B. in der EN ISO 13857 „Sicherheit von Maschinen – Sicherheitsabstände gegen das Erreichen von Gefährdungsbereichen mit den oberen und unteren Gliedmaßen (ISO 13857:2008)“.
Ich wollte erst Sätze einfügen, die so klangen, als kämen diese von der Gesellschaft stammen, die in Deutschland monopolartig Normen anbietet – der Beuth-Verlag. Doch ich möchte mich an dieser Stelle nicht zu Normen und wie man diese beschaffen kann, auslassen, nur soviel: die EN ISO 13857 ist meine Erachtens eine grundlegende Norm, die jeder zur Hand haben sollte und diese Norm kostet beim Beuth im Alleinverkauf ab 85 Euro. Besser ist es, die Norm im Rahmen eines Sammelwerks, z.B. „Leitfaden Maschinensicherheit“ oder „Normenauswahl für das Elektrohandwerk“ zu beschaffen. Leider bekommen weder ich noch der Buchhandel Prozente auf diese Normen… es wäre ein sehr lohnendes Geschäft!
Die Norm legt Werte für Sicherheitsabstände gegen das Erreichen von maschinellen Gefährdungsbereichen für gewerbliche und öffentliche Bereiche fest. Das bedeutet z.B. in der Praxis für eine Fingerspitze, die durch ein Loch mit 4mm durch möchte, die Gefahrstelle min. 2mm entfernt sein muß, bei 5mm Lochdurchmesser aber schon 10mm.
Beim Zugriff mit dem kompletten Arm z.B. über einen Zaun muß der Abstand zwischen schützender Konstruktion (Zaun) und Gefahrstelle min 850mm betragen…
Die Bildchen sollte jeder Ingenieur oder Techniker in seiner Ausbildung mal gesehen haben, denn diese waren lange Zeit fast identisch in den Unfallverhütungsvorschriften (und sind, wie man im folgenden Bildchen sieht, jetzt optisch anders dargestellt, aber immer noch im BG-Fundus in relevantem Umfang fast kostenlos erhältlich):
Mit dem vorhergehenden Ausflug wird auch klar, warum z.B. Bleistifte oder Karotten keine guten Prüfsonden sind: die mechanischen Eigenschaften weichen zu sehr ab, ein Bruch ist entweder gefahrvoll oder zu leicht möglich.
Die einem menschlichem Finger ähnlichste Lösung präsentierte mir vor vielen Jahren ein alter Maschinenbauer: frische Schweineschwänze vom Schlachthof (schwäbisch: Sauschwänzle). Leider sind die kaum noch zu bekommen. Diese sind aber, wenn sie frisch sind, eine sehr gute Fingernachbildung und sehr eindrucksvoll. Allerdings habe ich, abseits des Kunden, der mir das vorführte und der berufsbedingt beste Verbindungen zu einer Schlachterei hatte, nur einmal einen bekommen, der schon nach einem Tag nicht mehr so richtig nett roch und eher Heiterkeit als Neugierde hervorrief…
Es gibt aber auch andere Lösungen wie z.B. mit Götterspeise oder Wackelpudding gefüllte Gummihandschuhe. Diese sind je nach Füllung etwas unpassend und kaum an die zu untersuchende Stelle zu bewegen. Die Mini-Handschuhe für nur einen Finger („Fingerlinge“) sind kaum noch zu bekommen und waren je nach Füllung nicht immer problemlos. Das einfache Aufblasen eines solchen Handschuhs ergibt nicht praxisgerechte Ergebnisse. Ich zeige Ihnen eine bessere Lösung!
Sonderfall Druckmaschinen: Je nach Papier- bzw. Kunststoff, der verarbeitet wird, sollte entweder nie mit solchen Prüffingern, sondern maximal mit Einweg-Slikonhandschuhen getestet werden, weil sonst die Druckwalzen verbeult werden könnten. Und eine Druckwalze kostet einige tausend Euro…
Bandförderanlagen: Große Bandförderer wie diese z.B. in Kieswerken etc. eingesetzt werden, sind zumeist so abgesichert, dass ein Fingerschutz im Sinne von „wird nicht zerquetscht, aber abgeraspelt“ vorhanden ist. Eindrucksvoll ist hier eher einer Versandpapprolle, die ich mit reichlich Vorsicht zum Prüfen einsetze.
Eine ganz normale 50cm oder längere,ca 50mm Durchmesser Versandpapprolle hat eine dem menschlichem Arm ähnliche Stabilität und eignet sich hervorragend, um einen Unfall zu simulieren: einfach hineinhalten (Achtung: nächsten Punkt beachten). Ich war verblüfft, als nach drei guten Förderbändern mir das vierte die Rolle aus der Hand riss und platt einige Meter weiter vom Bandlauf ausgespuckt wurde……Glück gehabt, denn:
Der Mensch stammt vom Affen ab. Vielleicht kennen Sie es von kleinen Kindern: einen Finger hinhalten, das Kind klammert sich daran und geht mit Ihnen. Beim Versucht mit einer Papprolle merkte ich, welchen Reflex der Mensch hat: sowie etwas weggezogen wird, greift man fester zu – ganz ohne bewusste Handlung, eben als Reflex. Das kann gefährlich werden, wenn ihr Prüfstück schnell in ein gefährliches Maschinenteil eingezogen wird!
Die großen Schnittverletzungen, bei denen recht klar der Finger verkürzt wird, habe ich nicht als Beispiel einfügen können, weil ich keine Freigabe von entsprechenden Bildern bekommen habe. Auch sind diese Untersuchungen leicht mit anderen Materialien wie z.B. Karotten denkbar.